Zwischen Juni und August blühen in Berlin die verschiedenen Lindenarten und versetzen die Stadt in Euphorie oder wenigstens in einen Zustand geminderten Missmuts. In Berlin wachsen vor allem Winterlinden (Tilia cordata), Sommerlinden (Tilia platyphyllos) und Holländische Linden (Tilia × europaea).
Auf dem Boulevard „Unter den Linden“ sind allerdings südeuropäische Silberlinden (Tilia tomentosa) gepflanzt. 35% der Straßenbäume Berlins sind Linden. In den Bezirken Berlin-Mitte und Neukölln stehen allein jeweils 10.000, in Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf je 18.000 Exemplare. Sie alle zusammen verändern für einige Wochen des Jahres mit einer geballten Ladung von Duftmolekülen die Stimmung und Aufnahmefähigkeit der Menschen in der Stadt.
Die Gattung der Linden (Tilia) gehört zur Familie der Malvengewächse (Malvaceae). Die Arten- und Altersbestimmung von Linden sind, wie es scheint, sehr schwierig. Man geht von etwa 20 bis 45 Lindenarten aus, die vor allem in den gemäßigten und subtropischen Zonen der nördlichen Hemisphäre wachsen. Der Stamm der Linde ist sehr austriebskräftig; aus seinem Inneren schlägt der alte Baum Wurzeln, die nach seinem Absterben eine neue Blätterkrone hervorbringen werden.
„300 Jahre kommt sie, 300 Jahre steht sie, 300 Jahre vergeht sie.“, sagt der Volksmund. In der Tat können Linden wohl über 1000 Jahre alt werden. Zwei Drittel der alten Linden Europas stehen in Deutschland. Etliche berühmte Individuen sind darunter, wie die Schenglensfelder Riesenlinde in Hessen, die Tanzlinde von Effeltrich in Oberfranken, die Gerichtslinde von Collm, die Kunigunnenlinde bei Kasberg, die 1200-jährige Linde von Staffelstein in Bayern und viele andere.
In Nordwestdeutschland stehen auf vielen ehemaligen mittelalterlichen Gerichtsplätzen „Thie-Linden“ oder „Blutlinden“, unter deren Armen zweimal im Jahr das Femegericht seine Urteile fand und vollstreckte (Thie-Plätze für die niedere Gerichtsbarkeit, z.B. bei Diebstahl, Betrug und anderen Delikten von eher lokal beschränkter Relevanz und Thing-Plätze für Richtsprüche von regionaler Ausstrahlung und bei Kapitalverbrechen). Entscheidend gefördert wurde die Linde als historisches Symbol der Rechtsprechung auch durch den angelsächsischen Bischof Bonifatius und durch Karl den Großen, die durch ostentative Baumfällaktionen die heidnisch-germanischen Eichen entmachteten und durch christlich geweihte Linden austauschten.
Unter anderen historischen Vorzeichen blieben, auch nachdem im 15. Jahrhundert die Femgerichte ihre Bedeutung verloren hatten, die von 7 Linden umstandenen Femstätten Orte des sozialen Lebens. Im kühlenden Schatten und im betörenden Duft der weit ausladenden Blätterdächer fanden Versammlungen und Beratungen statt, wurden öffentliche Bekanntmachungen verlesen und natürlich wilde Feste gefeiert, manchmal sogar auf mehrstöckig in den Baum eingezogenen Dielen getanzt.
„Fest- und Feiertage auf dem Lande, Kirchweihen und Jahrmärkte, dabei unter der Dorflinde erst die ernste Versammlung der Ältesten, verdrängt von der heftigern Tanzlust der Jüngern, und wohl gar die Teilnahme gebildeter Stände.“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit)
Auch die juristische Wendung „Judicum sub tilia“ blieb noch lange Zeit einschlägig. So unterzeichnete Kurfürst August von Sachsen im 16. Jahrhundert seine Verordnungen mit der dekretorischen Formel: „Gegeben unter der Linde“. An der Göttinger Gerichtslinde wurde am 20. Januar 1859 die letzte öffentliche Hinrichtung durch das Schwert in Norddeutschland vollzogen. Die Dienstmagd hatte den Bäckermeister Siebert, der ihr die Ehe versprochen hatte, vergiftet. Zur Abschreckung mussten alle Dienstboten aus Göttingen und dem Umland der Exekution beiwohnen. Und noch 1870 fand im Harz ein offizielles Gericht unter Bäumen statt; es war das letzte für Deutschland dokumentierte.